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Eine teure Täuschung

Sachverhalt
Eine selbständige Naturheilpraktikerin erlitt einen Verkehrsunfall. Sie wurde hospitalisiert. Im Spital wurden verschiedene Krankheitsbilder festgestellt. Die Versicherung der Naturheilpraktikerin leistete aufgrund einer Einzel-Taggeldversicherungspolice ab dem 8. Tag nach dem Unfalltag ein Taggeld bei einer vollen Arbeitsunfähigkeit von Fr. 250.-. Während die Versicherte von den sie behandelnden Ärzten weiterhin arbeitsunfähig geschrieben war und Taggelder bezog, unterzog sie sich auf Aufforderung der Versicherung verschiedenen Abklärungen. Gestützt auf medizinische Abklärungen kam der Versicherungsarzt zum Schluss, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Unfallfolgen keinen Einfluss mehr auf den gesundheitlichen Zustand mehr hätten. Parallel dazu liess die Versicherung die Versicherte mittels Video überwachen. Auch dadurch konnte keine konkrete Beeinträchtigung der Lebensführung der Naturheilpraktikerin feststellen werden. In der Folge machte die Versicherung eine betrügerische Anspruchsbegründung geltend, trat vom Einzeltaggeldversicherungsvertrag per Schadensdatum zurück und berechnete eine Rückforderungssumme von insgesamt Fr. 125‘694.45 (ausgerichtete Taggelder, Kostenanteile Begutachtungen und Observation).
Nachdem die Versicherte einer entsprechenden Zahlungsaufforderung nicht nachkam, kam es zum Prozess. Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden verpflichtete die Versicherte der Versicherung Fr. 92‘575.85 zuzüglich Zins von 5% ab dem 16. Februar 2015 zu bezahlen. Gegen dieses Urteil gelangte die Versicherte ans Bundesgericht.
Streitgegenstand / Problemstellung
Zu entscheiden war die Frage, ob eine betrügerische Anspruchsbegründung nach Art. 40 VVG vorlag (zum Entscheid vgl. Bundesgericht in 4A_20/2018).
Entscheidung
1. Voraussetzungen einer betrügerischen Anspruchsbegründung
Art. 40 VVG setzt die Erfüllung objektiver und subjektiver Tatbestandsmerkmale voraus. Objektiv ist für eine betrügerische Anspruchsbegründung eine unrichtige Mitteilung von Tatsachen, welche die Leistungspflicht der Versicherung ausschliessen oder mindern würden, durch die Versicherte erforderlich. Gleichgestellt wird das Verschweigen oder die zu späte Mitteilung solcher Tatsachen. Es genügt ein Verhalten, welches objektiv eine Irreführung der Versicherung bewirken kann. Unter falsche Tatsachen fallen auch das Vortäuschen eines grösseren Schadens und die Aggravation von gesundheitlichen Störungen. Subjektiv ist erforderlich, dass all dies zum Zwecke der Täuschung erfolgt. Gefordert wird, dass die Versicherte der Versicherung mit Wissen und Willen unwahre Angaben machte, um einen Vermögensvorteil zu erlangen. Liegen die objektiven und subjektiven Voraussetzungen vor, so ist die Versicherung nicht an den Versicherungsvertrag gebunden. Sie kann vom Versicherungsvertrag zurücktreten, weitere Leistungen verweigern und zudem bereits erbrachte Leistungen zurückfordern.
2. Objektiv: Mitteilung von falschen und/oder unvollständigen Tatsachen sowie Unterlassen der Mitteilung der richtigen Tatsachen
Aufgrund der vorliegenden Gutachten und der Observation wurde nach Ansicht des Bundesgerichts willkürfrei festgestellt, dass die Versicherte für eine leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeit drei Monate nach dem Unfallereignis zu 50% und spätestens sechs Monate nach dem Unfallereignis wieder als zu 100% arbeitsfähig zu betrachten sei. Aus psychiatrischer/neuropsychologischer Sicht habe nach 6 Monaten keine Arbeitsunfähigkeit mehr vorgelegen. Indem die Versicherte trotz diesem Befund die Verbesserung ihres Zustandes nicht mitteilte bzw. einen schlechteren Zustand darstellte, habe sie objektiv unrichtige und/oder unvollständige Mitteilungen gemacht.
3. Keine Bedeutung der Arztzeugnisse
Den Arztzeugnissen, welche eine längere Arbeitsunfähigkeit bezeugten, wurden im vorliegenden Fall keine grosse Bedeutung beigemessen. Ärzte sind auf die Angaben ihrer Patienten angewiesen. Die ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten erfolgten deshalb im Wesentlichen gestützt auf die Angaben der Versicherten. Wenn die Versicherte dem Arzt gegenüber objektiv unrichtige und/oder unvollständige Angaben macht, indem sie namentlich Verbesserungen ihrer unfallbedingten Einschränkungen verschweigt, resultieren in den Arztzeugnissen zwangsweise falsche Darstellungen und Schlussfolgerungen.
4. Subjektiv: Täuschungsabsicht
Täuschungsabsicht ist bereits gegeben, wenn die Versicherte um die falsche Willensbildung bei der Versicherung weiss oder deren Irrtum ausnützt, indem sie über den wahren Sachverhalt schweigt oder absichtlich zu spät informiert. Der Nachweis einer bestimmten Absicht ist als innerpsychisches Phänomen in der Regel einem direkten Beweis entzogen. In diesem Fall muss die Absicht in wertender Analyse aus allen Umständen und Indizien erschlossen werden. Vorliegend stand für das Bundesgericht fest, dass die Versicherte ihren Gesundheitszustand schlechter als tatsächlich dargestellt bzw. Verbesserungen ihres Gesundheitszustandes verschwiegen hatte, um weiterhin Versicherungsleistungen zu beziehen. Es bejahte deshalb die Täuschungsabsicht.
5. Entscheidung
Die Versicherung durfte gestützt auf Art. 40 VVG vom Vertrag zurücktreten. Die Versicherte hatte der Versicherung deshalb ab dem Zeitpunkt, ab welchem sie wieder teilweise bzw. sodann vollständig arbeitsfähig war, die irrtümlich ausgerichteten Leistungen zurückzuerstatten. Auch die Kosten, welche die Versicherung für die Begutachtung und Observation hatte, mussten von ihr übernommen werden.
Fazit
Wer Versicherungsansprüche geltend macht, tut gut daran, bei der Wahrheit zu bleiben. Auch die schlechtere Darstellung des Gesundheitszustandes (Aggravation) ist eine Täuschung. All zu grosses Vertrauen in die Arztzeugnisse des Hausarztes ist nicht gerechtfertigt.

The Advisor – Recht