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Nutzungsfreiheit beim Stockwerkeigentum

Sachverhalt
A ist Eigentümerin von zwei Stockwerkeinheiten in einer Liegenschaft im Bezirk Meilen. Die beiden Einheiten sind intern verbunden und bilden zusammen eine 8½-Zimmer-Wohnung. A. vermietete diese an eine GmbH zur Nutzung für altersgerechtes begleitetes Wohnen. An der Stockwerkeigentümerversammlung wurde mit 23 gegen 1 Stimme (bei einer Enthaltung) beschlossen, dass die beiden Einheiten nicht umgenutzt werden dürfen; mit 23 gegen 2 Stimmen wurden anschliessend A und ihr Ehemann aufgefordert, den Mietvertrag mit der GmbH aufzulösen.
In Ziff. 8 des Reglements der Stockwerkeigentümergemeinschaft steht:
Die Stockwerke dürfen nur zu den im Begründungsakt und in diesem Reglement umschriebenen Zwecken verwendet werden. Die Wohnungen sind ausschliesslich zu Wohnzwecken bestimmt. Die Einrichtung eines stillen Bürobetriebes ohne Kundenverkehr ist gestattet, wobei die Bestimmungen der Bau- und Zonenordnung vorbehalten bleiben. In keinem Fall sind Tätigkeiten gestattet, welche z.B. übelriechende Gerüche oder starken Lärm etc. verursachen.
Mit dem Angebot der GmbH an ihre Kunden, welches mit Betreuung und Pflege betagter Personen in den betreffenden Stockwerkeinheiten umschrieben wurde, war eine gewinnorientierte (kommerzielle) Tätigkeit beabsichtigt.
Weil A mit den Beschlüssen der Stockwerkeigentumsgemeinschaft nicht einverstanden war, verlangte sie beim Gericht deren Aufhebung.

Streitgegenstand / Problemstellung
Strittig war die Frage, ob die geschäftsmässige Betreuung und Pflege betagter Personen eine Wohnnutzung gemäss Reglement darstellte, oder ob die übrigen Stockwerkeigentümer diese Nutzung der beiden Wohnungen zu Recht verhindern konnten, weil keine solche Wohnnutzung vorlag (zum Entscheid vgl. Bundesgericht in 144 III 19).

Entscheidungskriterien
1. Grundsatz
Von Gesetzes wegen sind die Stockwerkeigentümer in der Verwaltung, Benutzung und baulichen Ausgestaltung der in ihrem Sonderrecht stehenden Räume grundsätzlich frei (Art. 712a Abs. 2 ZGB), wobei diese Freiheit vermutet wird.
2. Einschränkungen
Durch das Gesetz, durch die Gemeinschaftsordnung oder durch Vereinbarungen mit Dritten kann diese Freiheit eingeschränkt werden. Die Freiheit ist namentlich dort beschränkt, wo die Nutzung der Sonderrechtsteile die Benutzungsweise oder gar die Zweckbestimmung der gemeinschaftlichen Liegenschaft betrifft. Die Regelung der Benutzungsart und die Zweckbestimmung der Liegenschaft obliegt nämlich den Stockwerkeigentümern. In der Regel werden Benutzungsart und Zweckbestimmung im Begründungsakt oder in einem Reglement festgelegt (Art. 712g ZGB).
Bei der reglementarischen Umschreibung sind die üblichen Schranken von Art. 2 und 27 ZGB, Art. 19 f. OR sowie diejenigen zu beachten, welche sich aus der Institution des Stockwerkeigentums ergeben.
3. Änderung der Benutzungsart
Wird die bestehende Benutzungsart einer Stockwerkeinheit abgeändert, bedarf dies einer entsprechenden Reglementsänderung bzw. eines Stockwerkeigentümerbeschlusses. Gemäss Art. 647b Abs. 1 i.V.m. Art. 712g Abs. 1 ZGB ist für den Beschluss die doppelte Mehrheit nach Köpfen und Wertquoten erforderlich.
4. Änderung der Zweckbestimmung
Ist die geänderte Benutzungsweise einer Stockwerkeinheit von einer Intensität, dass dies den Gesamtcharakter der Liegenschaft verändert, ist deren Zweckbestimmung betroffen. In diesem Fall bedarf der Beschluss gemäss Art. 648 Abs. 2 i.V.m. Art. 712g Abs. 1 ZGB sogar der Zustimmung aller Stockwerkeigentümer.

Entscheidung
Vorliegend war die Benutzungsart reglementarisch mit „Wohnzwecken“ umschrieben. Es stellte sich also die Frage, ob die GmbH als Mieterin die beiden Wohnungen zu Wohnzwecken angemietet hatte bzw. ob die von ihr angestrebte konkrete Nutzung als Wohnnutzung angesehen werden konnte. Die GmbH als Mieterin wollte die Wohnung zum Betrieb eines kommerziell geführten Pflegeheimes nutzen.
Die Überlassung einer 8½-Zimmer-Wohnung für einen professionellen Pflegebetrieb sei aber, so das Bundesgericht, nicht mehr vom Wohnzweck abgedeckt. Bei einem reinen Wohnhaus sei der Betrieb eines Pflegeheimes mit dem „Wohnzweck“, wie ihn das Reglement für sämtliche Wohnungen vorsieht, nicht vereinbar. Die beabsichtigte Nutzung als kommerziell geführtes Pflegeheim sei deshalb unzulässig.

Fazit
Der Entscheid ist kritisch. Steht bei einem Pflegeheim von betagten Menschen wirklich die kommerzielle Natur des Betreibens eines Pflegeheimes und nicht das Wohnen der älteren Personen im Kreis von jungen und gesunden Personen im Vordergrund? Will man wirklich eine Separation der – noch – nicht pflegebedürftigen von den pflegebedürftigen älteren Personen, die auf dauernde Hilfe angewiesen sind?

The Advisor – Rund um Immobilien