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Tücken bei der Zustellung von Postsendungen

Sachverhalt
Vermieter und Mieter schlossen im Kanton Waadt einen Mietvertrag über eine Wohnung mit 4 Zimmern und Nebenräumen. Der Mietvertrag wurde erstmals für den Zeitraum ab 2006 abgeschlossen. Ohne Kündigung vier Monate vorher verlängerte sich der Mietvertrag jeweils um ein weiteres Jahr. Der Anfangsmietzins wurde auf Fr. 3‘970.00 festgelegt. Der Mietvertrag wurde seitens der Vermieter von der Verwaltung abgeschlossen. In Fettdruck über der Unterschrift wurde auf Beilagen verwiesen, auch auf das Formular zur Mitteilung des Anfangsmietzinses. Mietvertrag und Formular wurden am 4. August 2016 von zwei Verantwortlichen der Verwaltung unterzeichnet. Eine Angestellte legte die Dokumente in einen Briefumschlag und adressierte den Umschlag an die Mieter. Die Mieter haben das Schreiben erhalten, die Mietverträge unterzeichnet und ein Exemplar des Mietvertrages an die Verwaltung zurückgeschickt. Im Juni 2013 verlangten die Mieter, die Nichtigkeit des Anfangsmietzinses festzustellen, diesen neu festzulegen und ihnen für den ganzen Zeitraum die Differenz zurückzuerstatten. Die Mieter stellten sich auf den Zeitpunkt, sie hätten das Formular zur Mitteilung des Anfangsmietzinses nicht erhalten.
Die Mitarbeiterin der Verwaltung wurde als Zeugin einvernommen. Fehler erwähnte sie nicht. Wegen der langen Zeitdauer konnte sie sich aber nicht an Details erinnern. In den Akten der Verwaltung befand sich eine Kopie des amtlichen Formulars zur Mitteilung des Anfangsmietzinses.

Streitgegenstand / Problemstellung
Zwischen den Parteien strittig war die Frage, ob das amtliche Formular zur Mitteilung des Anfangsmietzinses den Mietern tatsächlich zugestellt wurde oder nicht (zum Entscheid vgl. Bundesgericht in 142 III 369).

1. Entscheidung
Beweislastverteilung und Beweismass
Eine rechtliche Frage ist es festzulegen, wer für ein Tatbestandsmerkmal den Beweis zu erbringen (Beweislast) und in welcher Stärke dieser Beweis vorzuliegen (Beweismass) hat. Als Beweismass wird meist Gewissheit (Sicherheit) oder, in Ausnahmefällen, überwiegende Wahrscheinlichkeit gefordert.
2. Beweiswürdigung
Keine Rechts- sondern eine Sachverhaltsfrage ist dann die Entscheidung des Gerichts, ob aufgrund des konkreten Einzelfalls das verlangte Beweismass erreicht wird. Das ist eine Frage der Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung wird vom Bundesgericht nur auf Willkür überprüft.

3. Bedeutung von Postsendungen
3.1 Grundsatz
Die Kommunikation zwischen Privatpersonen findet meist auf dem Postweg statt. Dabei gilt die Regel, dass eine gewöhnliche Postsendung weder den Empfang noch das Datum des Empfangs beweist. Kommt es zum Streit, hat der Absender nachzuweisen, dass sein Schreiben tatsächlich in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers gelegt wurde und an welchem Datum das geschah.
Wenn der Vermieter also behauptet, er habe das amtliche Formular an den Mieter gesandt, dann hat er den Zugang beim Mieter nachzuweisen.
3.2 Vermutung
Wird allerdings im Mietvertrag auf das amtliche Formular verwiesen und der Mietvertrag zugestellt, dann kommt nach allgemeiner Lebenserfahrung eine Vermutung zum Zug. Die Vermutung besagt, dass das amtliche Formular dem Mietvertrag tatsächlich beigelegt wurde, sofern vom Absender ein zweites Exemplar oder eine Kopie des amtlichen Formulars vorgelegt werden können.
Diese Erfahrungsregel führt zu einer Umkehr der Beweislast. Der Empfänger hat dann nachzuweisen, dass beim Abpacken ein Fehler unterlaufen ist und er das amtliche Formular nicht erhalten hat. Da dies eine negative Tatsache ist, genügt der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.

4. Entscheidung
Die Zustellung des Mietvertrages konnte vom Vermieter nachgewiesen werden. Der Mieter hat ein unterzeichnetes Exemplar zurückgeschickt. Eine Kopie lag zudem in den Akten der Verwaltung. Da im Mietvertrag auf das amtliche Formular als Beilage verwiesen wurde, galt dieses vermutungsweise ebenfalls als zugestellt.
Demgegenüber konnte der Mieter nicht nachweisen, dass das amtliche Formular nicht beilag.
Die Zustellung des amtlichen Formulars galt damit als nachgewiesen.

Fazit
Bei der Zustellung von rechtlichen Erklärungen ist Vorsicht zu walten. Es ist immer an den Beweis der Zustellung zu denken.
Im vorliegenden Fall hätte der Vermieter den Empfang des amtlichen Formulars durch Unterzeichnung eines Doppels durch den Mieter erbringen können. Der Mieter wiederum hätte, wenn das Formular tatsächlich nicht beilag, sofort schriftlich auf das Fehlen hinweisen können.

The Advisor – Immobilien